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Die Feuerwehr rückt aus, doch am Einsatzort ist kein Anzeichen eines Brandes zu erkennen – falscher Alarm. Eine aktuelle Studie einer Arbeitsgruppe von EURALARM geht dem Phänomen länderübergreifend auf den Grund. Welche Erkenntnisse dabei gewonnen wurden und warum Falschalarme auch ihre guten Seiten haben, erklärt der Vorsitzende der Arbeitsgruppe Dr. Sebastian Festag, ein international renommierter Sicherheitswissenschaftler.
Falschalarme verursachen Kosten. Noch schlimmer aber ist, dass sie dazu führen können, dass Menschen einen echten Alarm nicht ernst nehmen.
ProSicherheit: Was genau ist ein Falschalarm?
Dr. Sebastian Festag: Grundsätzlich spricht man im Kontext des Brandschutzes von einem Falschalarm, wenn ein Brandalarm ausgelöst wird, die Einsatzkräfte nach ihrem Eintreffen aber kein Anzeichen eines Brandes vorfinden, sei es, weil es gar nicht gebrannt hat, weil der Brand mittlerweile von allein erloschen ist, oder aus anderen Gründen. Wobei man gleich dazu sagen muss, dass es da international keine einheitliche und verbindliche Definition oder Sprachregelung gibt – was ja schon auf die Frage zutrifft, ab wann von einem Brand gesprochen wird. In der Schweiz zum Beispiel spricht man im eben genannten Szenario von einem „ungewollten Alarm“, ein „Falschalarm“ bedeutet dort etwas ganz anderes.
Dr. Sebastian Festag
ProSicherheit: Was sind die Ursachen für Falschalarme?
Dr. Sebastian Festag: Wir unterscheiden in Deutschland drei Kategorien von Ursachen für einen Falschalarm: Die erste ist ein technischer Defekt, der ein Alarmierungsmittel wie etwa eine Brandmeldeanlage oder ein Brandmelder Alarm schlagen lässt, obwohl für einen Brand tatsächlich keine Anzeichen vorliegen (z. B. durch einen Softwarefehler oder einen technischen Fehler. Das Ausmaß dieser Ursachenkategorie wird oft überschätzt – weil der Fehler im Zweifelsfall der Technik zugeschrieben wird.
Die zweite Kategorie sind Täuschungsalarme. Dabei funktionieren die Systeme bestimmungsgemäß, aber eine Kenngröße, die einem Brand ähnelt, löst einen Alarm aus. Typische Beispiele dafür sind Staub bei Bauarbeiten oder Wasserdampf in Hotelzimmern, was einen Brandmelder aktiviert, obwohl es nicht brennt. Die Technik funktioniert, der Fehler liegt in der Anwendung, zum Beispiel dadurch, dass Brandmelder in der Nähe von Bauarbeiten nicht temporär außer Betrieb genommen werden. Täuschungsalarme sind unseren Erkenntnissen nach die dominierende Gruppe von Falschalarmen.
Unbeabsichtigte und böswillige Alarmierungen stellen die dritte Kategorie dar. Unbeabsichtigt, wenn etwa ein Anwohner vermeintliche Rauchschwaden wahrnimmt und die Feuerwehr ruft, obwohl es gar nicht brennt; böswillig, wenn zum Beispiel ein Schüler einen Handfeuermelder betätigt, damit der Unterricht ausfällt.
Alle drei Kategorien von Falschalarmen können bei allen Meldewegen auftreten, sie tun das aber in unterschiedlicher Häufung: Beim Meldeweg Telefon zum Beispiel sind es meistens unbeabsichtigte Fehlalarmierungen, bei Meldeanlagen haben wir unter den Falschalarmen, wie schon erwähnt, meistens Täuschungsalarme.
In allen europäischen Ländern sind Brandschutzanlagen hinsichtlich ihrer Technologie harmonisiert, die Anwendungsrichtlinien sind es dagegen nicht.
ProSicherheit: Welches Ziel verfolgt die Arbeitsgruppe EURALARM?
Dr. Sebastian Festag: Uns geht es einerseits um eine Versachlichung der Diskussion und andererseits um ein gemeinsames Verständnis und eine möglichst vergleichbare Faktenbasis, vor allem international, damit wir vom selben reden. Eine Versachlichung der Diskussion ist deshalb wichtig, weil die Debatte über Falschalarme oft emotional und wenig faktenbasiert geführt wird.
Ein gemeinsames Verständnis ist wichtig, weil wir Sachverhalte leichter verbessern können, wenn wir über sie mit klar definierten Begriffen sprechen und die relevanten Rahmenbedingungen identifiziert haben. Wie gesagt gibt es gerade zwischen verschiedenen Ländern unterschiedliche Sprachregelungen und Kriterien. Schweden zum Beispiel unterschied bisher 25 Kriterien von Falschalarmen, wir in Deutschland dagegen drei Kategorien. Und ein weiterer wesentlicher Punkt: In allen europäischen Ländern sind Brandschutzanlagen hinsichtlich ihrer Technologie harmonisiert, die Anwendungsrichtlinien sind es dagegen nicht. In Deutschland regeln zum Beispiel Anwendungsnormen die Planung, Inbetriebnahme und Instandhaltung von Brandmeldeanlagen, in anderen Ländern gibt es dafür aber nur Versicherungsbedingungen oder sehr allgemeine Standards. Unsere Studie hat diese und weitere Faktoren in Deutschland, Österreich (Vorarlberg), Schweden, Schweiz und Großbritannien genau untersucht.
Dabei gibt es noch eine übergreifende und langfristige Perspektive: Europaweit sind Falschalarme in punkto Kosten ein Milliardenthema. Pro Land ließen sich vor allem durch Qualitätsprodukte, einheitliche Anwendungsnormen mit dem sachgemäßen Umgang von Meldern sowie einem angemessenen Managementbewusstseins seitens der Gebäudebetreiber Millionenbeträge einsparen. In unserer Studie haben wir dafür auf Basis unserer Erkenntnisse eine umfangreiche Liste von möglichen Maßnahmen erarbeitet.
Europaweit sind Falschalarme in punkto Kosten ein Milliardenthema.
ProSicherheit: Zu welchen Ergebnissen ist ihre Studie gekommen?
Dr. Sebastian Festag: Um das klar zu machen: Es ging uns nicht darum, Benchmarks aufzustellen. Das geht nicht, die Unterschiede zwischen den Ländern machen da jede Vergleichbarkeit zunichte und bisher wurden Falschalarmraten international unterschiedlich berechnet. Auch sind Begriffe verschieden, Aufschaltwege sind anders, die Anwendungsnormen sind uneinheitlich und so weiter. Was wir aber leisten konnten, war, dass wir jetzt pro Land jeweils Werte als Referenz für die kommenden Jahre haben. Das allein ist schon mal viel wert. Zudem haben wir mögliche Berechnungswege dargestellt, die in Zukunft die Basis für eine Vereinheitlichung sein könnten.
Zugleich gab es noch einige länderübergreifend gültige Erkenntnisse. Zum Beispiel stellen wir fest, dass im Schnitt 30 Prozent aller Falschalarme von fünf Prozent der Objekte ausgehen. Auch das zeigt die Prominenz von Täuschungsalarmen, denn in den betroffenen Gebäuden funktioniert die Brandmeldetechnik, sie wird aber einfach nicht sachgemäß eingesetzt. Das ist ein Anwendungsthema.
Vor allem erkennen wir bei allen Ländern, die eine zeitliche Analyse ermöglichen, beim Thema Falschalarm einen klaren positiven Trend: Die Zahl von Falschalarmen steigt, die Zahl der installierten Meldeanlagen aber noch viel stärker, womit die Falschalarmraten in den letzten Jahren klar sinken. Gleichzeitig werden mit der zunehmenden Zahl an installierten Anlagen gleichermaßen mehr echte Brände erkannt.
Unterm Strich bedeutet das, dass die Technologie und ihre Anwendung immer besser wird und Falschalarme in relativen Zahlen tatsächlich abnehmen. So nahm die Falschalarmrate in exemplarischen Einsatzgebieten in Deutschland von 84,7 Prozent im Jahr 2003 auf 73,7 Prozent im Jahr 2010 ab.
Die internationale Studie von EURALARM zu Falschalarmen
ProSicherheit: Fast 75 Prozent Falschalarme in Deutschland – ist das nicht zu hoch?
Die Zahl von Falschalarmen steigt, die Zahl der installierten Meldeanlagen aber noch viel stärker, womit die Falschalarmraten in den letzten Jahren klar sinken.
Dr. Sebastian Festag: Das ist eine interessante Frage: Falschalarme sind ja nicht nur ein Thema in der Branderkennung. Sie treten in einer ähnlichen und zum Teil höheren Rate auch bei Personenscannern an Flughäfen auf, im Journalismus oder bei anderen Frühwarnsystemen. Nur beschwert sich dort so gut wie niemand darüber. Dort gelten Falschalarme zugunsten der Risikominimierung als akzeptabel. Und das ja auch zurecht, nur sollte man das eben auch im Brandschutz so diskutieren.
Die Sache hat meiner Ansicht nach zwei Seiten: Einerseits verursachen Falschalarme Kosten, noch schlimmer aber ist, dass Falschalarme die Wahrnehmung von Warnungen verringern und dazu führen können, dass Menschen einen echten Alarm nicht ernst nehmen. Das ist klar negativ, und daher müssen wir daran arbeiten, dass sie weiter reduziert werden. Andererseits sind Falschalarme oft auch die Basis für wertvolle Erfahrungen. Es gibt Fälle, wo Falschalarme eklatante Fehler in der Alarmierungskette aufgedeckt haben, was in Zukunft in echten Alarmsituationen Leben retten wird. Zudem entwickeln Feuerwehren auch durch Falschalarme Einsatzroutinen unter Realbedingungen und kennen dadurch Einsatzobjekte, ohne dass sie in Gefahr geraten. Insofern haben Falschalarme tatsächlich in dieser Hinsicht auch eine gute Seite.
Sebastian Festag hat nach dem Diplomstudium im Fach Sicherheitstechnik an der Bergischen Universität Wuppertal (BUW) seine Promotion angeschlossen und war von 2007 bis 2011 an der BUW und der Hochschule Furtwangen (HFU) wissenschaftlich tätig. Seit 2011 ist er Geschäftsbereichsleiter Marktentwicklung bei Hekatron Brandschutz und beschäftigt er sich mit Sicherheitsfragen in der Industrie. Neben der Funktion als Präsident der GfS ist er im Vorstand der European Society for Automatic Alarm Systems e. V. (EUSAS) und Mitglied der Leitung des Referates 14 der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes e. V. (vfdb). Er ist Obmann der europäischen Arbeitsgruppe „False Alarms” bei EURALARM sowie der Vorsitzende des Fachkreises Brandmeldesysteme im Fachverband Sicherheit im Zentralverband Elektrotechnik und Elektronikindustrie e. V. (ZVEI). Sebastian Festag ist Lehrbeauftragter an der BUW. Er ist Autor von zwei und Herausgeber von sechs Fachbüchern sowie zahlreicher wissenschaftlicher Artikel.
Peter Ohmberger begann seine Karriere ganz bodenständig mit einer Handwerksausbildung zum Elektroinstallateur. Auf dem zweiten Bildungsweg wurde er dann staatlich geprüfter Techniker für Datenelektronik, Diplom-Betriebswirt für Controlling und Unternehmensführung und Master of Business Administration.
Beim Spezialisten für den anlagentechnischen Brandschutz aus Sulzburg, Hekatron Brandschutz, begann er 1984 als Testingenieur und übernahm eine Vielzahl an Aufgaben, u. a. als Produktionsleiter und Prokurist. Zwischendurch war er auch als selbstständiger Errichter tätig, bevor er 2002 die Geschäftsführung bei Hekatron übernahm. Er ist zudem Mitglied des ZVEI Vorstandes, im Fachverband Sicherheitssysteme und in diversen Zukunftsforen sowie Dozent and der Hochschule Zittau. Peter Ohmberger versteht sich selbst als „Wachrüttler“ in der Branche, der mit Leidenschaft das „Gebäude der Zukunft“ vorantreibt mit dem Ziel, die Zahl der Brand- und CO-Toten auf null („Vision 0“) zu senken. Er hat aber tatsächlich noch Zeit für Privates und ist Vater zweier Söhne.