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Notre-Dame: Wie gefährdet sind Kirchen in Deutschland?

Der Brand der Kathedrale Notre-Dame zerstörte große Teile des Pariser Wahrzeichens und rückte das Thema Brandschutz von Sakralbauten in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Ob auch deutsche Kirchen gefährdet sind und welche Brandschutzmaßnahmen sinnvoll wären, erklärt Prof. Dipl.-Ing. Reinhard Ries. Als Direktor der Branddirektion Frankfurt am Main stand er 25 Jahre lang 1000 hauptamtlichen und 1500 ehrenamtlichen Einsatzkräften vor und verantwortete den vorbeugenden und baulichen Brandschutz. Derzeit berät der Brandschutz-experte Firmen und Entscheidungsträger und sensibilisiert in seinen Vorlesungen an mehreren Universitäten Studenten für das Thema Brandschutzkonzepte.

18. September 2019

Wenn Anwohner Alarm schlagen, weil sie Flammen aufsteigen sehen, ist es meist zu spät und das Gebäude mit seinen kulturhistorischen Schätzen ist verloren.

Prof. Dipl.-Ing. Reinhard Ries

ProSicherheit: Herr Prof. Ries, wie groß ist hierzulande die Gefahr, dass Sakralbauten in Flammen stehen?

Prof. Ries: Wenn Kirchen in der Nutzung sind, ist die Wahrscheinlichkeit eher gering, dass es zu einem Großbrand kommt. Denn die Anwesenden würden natürlich bei Auffälligkeiten sofort reagieren. Außerdem sind die Brandlasten nicht so hoch, dass schnell ein großer Schaden entstehen könnte. Das heißt aber nicht, dass Kirchen nicht auch in Flammen aufgehen. Was wir hierzulande häufiger sehen, sind Brände, die durch Blitzeinschläge, Bauarbeiten und technische Defekte verursacht werden.

Was wir hierzulande häufiger sehen, sind Brände, die durch Blitzeinschläge, Bauarbeitern und technische Defekte verursacht werden.

Prof. Dipl.-Ing. Reinhard Ries

ProSicherheit: Ursache des Brandes in Notre-Dame waren vermutlich Bauarbeiten. Welche Risiken gehen damit einher?

Prof. Ries: Die Dachstühle der Kirchen sind fast immer aus Holz. Holz, dass über die Jahrhunderte ausgetrocknet ist und deshalb sehr schnell brennt, wie der jüngste Brand der Kathedrale Notre-Dame wieder gezeigt hat. Bei Reparaturarbeiten am Dach kommen Arbeitsgeräte zum Einsatz, die Wärme auf die brennbare Holzkonstruktion übertragen und diese dadurch entzünden können. Eine Entwicklung, die die Arbeiter nicht unbedingt bemerken müssen. Daher sollte man die Arbeitsbereiche regelmäßig kontrollieren. Doch auch defekte Elektroinstallationen und alte Kabel sind erfahrungsgemäß häufig Ausgangspunkt für Schwelbrände. Diese können sich bei ausreichender Sauerstoffzufuhr dann blitzartig in einen Flammenbrand verwandeln. Wobei nicht nur das Feuer selbst eine Gefahr ist, bereits der Rauch kann die mitunter sehr wertvollen Gemälde, Fresken und Reliquien beschädigen.

Nicht nur das Feuer selbst ist eine Gefahr, bereits der Rauch kann die mitunter sehr wertvollen Gemälde, Fresken und Reliquien beschädigen.

Prof. Dipl.-Ing. Reinhard Ries

ProSicherheit: Warum sind Brände in Sakralbauten eine Herausforderung für die Feuerwehr?

Prof. Ries: Hinzu kommt, dass das Kirchenschiff und die Türme in der Regel sehr hoch und damit schlecht zu erreichen sind. Das macht die Brandbekämpfung so schwierig. Das heißt, Brände, die einmal ausgebrochen sind, sind in der Regel nur schwer zu beherrschen. Für Kirchen, die keinen anlagentechnischen Brandschutz besitzen, ist es im Brandfall deshalb meist zu spät, sie lassen sich nur noch selten retten.

Das Kirchenschiff und die Türme sind in der Regel sehr hoch und damit schlecht zu erreichen. Das macht die Brandbekämpfung so schwierig.

Prof. Dipl.-Ing. Reinhard Ries

ProSicherheit: Welche technischen Brandschutzmaßnahmen empfehlen Sie Gemeinden bzw. den Entscheidungsträgern, die ihre Sakralbauten schützen wollen?

Prof. Ries: Je früher ein Brand entdeckt wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass er erfolgreich bekämpft werden kann. Deshalb empfehle ich den Verantwortlichen dringend, eine flächendeckende Brandmeldeanlage zu installieren. Denn sie detektiert Brände, auch Schwelbrände bereits im Anfangsstadium und informiert sofort die Feuerwehr. Wenn Anwohner Alarm schlagen, weil sie Flammen aufsteigen sehen, ist es meist zu spät und das Gebäude mit seinen kulturhistorischen Schätzen ist verloren. Wer noch einen Schritt mehr Sicherheit will, der kann zudem halbautomatische Löschanlagen in den Kirchturm einbauen lassen. Das sind Rohrsysteme, in die die Feuerwehr im Notfall Wasser einspeist, um das Feuer im Turm zu löschen. Der Einwand, dass durch das Wasser ebenfalls ein Schaden entsteht, ist meines Erachtens unangebracht. Denn die Feuerwehr führt das Wasser ja erst ein, wenn nichts anderes mehr hilft, um das Gebäude zu retten.

ProSicherheit: Stoßen Ihre Empfehlungen auf offene Ohren?

Prof. Ries: Wer sich beraten lässt, der hat bereits ein Gefühl für die Gefahren und setzt dann natürlich auch Empfehlungen um. Das größere Problem ist, die zu erreichen, die sich in Sicherheit wiegen bzw. die Gefahr unterschätzen. Da ist noch viel Aufklärungsarbeit notwendig. Vielleicht rüttelt ja der Brand der Kathedrale Notre Dame auf. Das wäre wirklich zu wünschen, denn meiner Erfahrung nach besitzen nur wenige Kirchen eine flächendeckende Brandmeldeanlage. Und dass, obwohl die Kosten für Installation und Wartung der Anlagen überschaubar sind, vor allem im Vergleich zu den möglichen Verlusten, die ein Brand verursacht.

ProSicherheit: Welche Lehren können aus dem Brand von Notre-Dame gezogen werden?

Die Kosten für Installation und Wartung der Brandmeldeanlagen sind überschaubar, vor allem im Vergleich zu den möglichen Verlusten, die ein Brand verursacht.

Prof. Dipl.-Ing. Reinhard Ries

Prof. Ries: Die Untersuchungen laufen noch. Doch das, was an noch ungesicherten Informationen durchgedrungen ist, weist auf einen menschlichen Fehler hin. Denn Notre-Dame verfügte über eine funktionierende Brandmeldeanlage, die auch früh Alarm schlug. Doch ein Mitarbeiter, der vor Ort keinen Rauch bzw. Brand sah, stufte den Alarm wohl leider als Falschalarm ein. Nach einiger Zeit schlug dann zwar ein weiterer Melder an, aber da hatte sich das Feuer bereits stark ausgebreitet. Ausgehend von dem, was ich gehört habe, glaube ich deswegen, dass es ohne die Fehleinschätzung nicht zu dieser Katastrophe gekommen wäre. Daher spricht nichts gegen, sondern alles für eine Brandmeldeanlage und für aufmerksame Mitarbeiter, die lieber einmal mehr als zu wenig die Feuerwehr anrücken lassen.

Prof.  Dipl.-Ing. Reinhard Ries, Direktor der Branddirektion in Frankfurt am Main a.D.:

Von 1993 wurde Prof. Reinhard Ries zum Leiter der Feuerwehr Frankfurt am Main berufen. Als Direktor der Branddirektion verantwortete er dort den Brand- und Katastrophenschutz, den Rettungs- und Notarztdienst und die Flugrettung. Er stand damit in Frankfurt insgesamt 1000 hauptamt­lichen und 1500 ehrenamtlichen Einsatzkräften vor. Zudem war er für den vorbeugenden und baulichen Brandschutz verantwortlich. Nach 25 Jahren als Amtsleiter schied Reinhard Ries zum 31. März 2018 aus den Diensten der Stadt Frankfurt am Main.

Während seiner Dienstzeit arbeitete Reinhard Ries in verschiedenen nationalen und interna­tionalen Gremien, u.a. in der internationalen Kommission zum Flughafenbrand Düsseldorf, mit bzw. saß diesen vor. Der studierte Architekt vermittelt nach wie vor als Honorardozent an der Fachhochschule Frankfurt, der Hochschule Darmstadt und der Technischen Universität Darmstadt sein Brandschutz-Know-how. Außerdem berät er Firmen und Entscheidungsträger zu Fragen des Brandschutzes.